Gerhard Martini - Texte

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Gerhard Martini

Man lasse sich von der geringen Größe, vom Lapidaren des Bildträgers und von der silhouettenartigen Verknappung der Darstellung nicht täuschen! Seit einigen Jahren realisiert Gerhard Martini mit diesen Entscheidungen eine Malerei, die in außerordentlicher Dichte unterschiedliche Temperierungen und Vorstellungen evoziert. Ausgeschlossen scheint kein Sujet, kein Begriffsfeld zwischen alltäglichem Ding und gesellschaftlichem Phänomen. Die Motive sind über Prozesse der Isolierung und Konzentrierung, ganz ohne Binnenzeichnung und in der Beschränkung auf zwei oder drei Farben, die sich teils noch von der Lokalfarbigkeit lösen, erfasst. Bildträger sind Aluminiumtafeln, die milchig spiegeln, im Verhältnis zu den Farbflächen wie grau wirken und bei denen es sich um Reststücke aus dem industriellen Gebrauch handelt. Infolgedessen sind sie – widerständig und flach an, nicht vor der Wand – von Mal zu Mal verschieden geschnitten; ihre Kanten können schräg verlaufen. Sie weichen in der Größe voneinander ab; mitunter sind standardisierte Fabrikationsnummern aufgedruckt. Für die Malerei selbst verwendet Martini primär Industrielacke aus dem Modellbau, die also zu spezifischen Zwecken entwickelt worden sind und über eigene Farbtöne verfügen. Der Gestus ist in den Schlieren konserviert, die mitunter transparent sind; bisweilen scheinen frühere Farbsetzungen an den Rändern hervor.

Kennzeichnend für Martinis Bilder ist ein matt glänzender Farbauftrag, verbunden mit dem Eindruck einer volumenhaft gespannten Oberfläche. Alle Kleinheit ist mit einem Mal monumental, die Ausschließlichkeit steigert das geradezu Emblematische, und mittels derartiger Fokussierungen hält Gerhard Martini Dinge fest, die bekannt oder vertraut sind und bisweilen kurios wirken – und zwar in einer frontalen Einheitlichkeit, die sie andererseits in die Fremdheit entrückt. Etliche dieser Darstellungen gehen noch auf klischeehafte Bildvorstellungen zurück: Der Wolf sieht eben aus, wie wir uns einen Wolf vorstellen, der sein Maul aufreißt. Der Gartenzwerg erfüllt in seiner Silhouette die landläufigen Erwartungen, auch wenn er ein Maschinengewehr wie ein Zinnsoldat vor dem Körper hält. – Einzelne Motive sind identisch wiederholt, variiert freilich in der Farbgebung. Weiterhin stellen sich im wechselnden Verhältnis von Nähe und Ferne, Fläche und Raum Zustände zwischen Realismus und Abstraktion ein, welche alle Gewissheit aushebeln. So ließe sich eine wolkige Formation, die über einer Art Gipfel, vielleicht einem Vulkan schwebt, ebenso als zusammengekauerter Hund verstehen. Eine Kristallkugel ist die Erde und umgekehrt. Indem der Umraum in seiner Anmutung zwischen neutraler Absenz und nebelartiger Dunkelheit wechselt, deuten sich weiterreichende Kontexte an. Und im komplementären Zueinander der Farben, die noch eigene Gestimmtheiten tragen, kippen positiv und negativ, alle Gegenständlichkeit wird mit einem Mal zur Möglichkeit, das Bild zur Projektionsfläche unserer Erwartungen ...

Angesichts der früheren großformatigen und starkfarbigen realistischen Malerei auf Leinwand, mit der Gerhard Martini zunächst bekannt wurde, mögen die neuen Bildtafeln überraschen. Aber schon den Gemälden war ein entsprechend sinnliches Erleben und ein ähnlich konzeptueller Impetus eigen; reflektiert mit der Erfahrung der Kunstgeschichte waren Zitate des Alltäglichen in unserer Zeit gegeben. Damals wie heute, Gerhard Martini geht es um eine kritische Wahrnehmung unserer Umgebung anhand des medial verfügbaren, dadurch abgeschliffenen und gewissermaßen anonymen Fundus an Weltgeschehen. Farbe als Essenz und Kolorit erweist sich hierzu als Korrektiv, mit seinen Maßnahmen erreicht Martini einen Abstand, der Prozesse der Neusicht initiiert. Hier, bei den Werken mit Aluminiumtafeln, geht er zudem der Tauglichkeit von Malerei zur Abbildung von Realität auf den Grund: Er unterläuft die Erwartungen an „klassische“ Malerei mit ihren Präferenzen für bestimmte Formate, für die Leinwand auf Keilrahmen als Bildträger, dem Spektrum an Farben und Farbsubstanzen und einem expliziten Pinselduktus, und er gewinnt aus diesem Verzicht die Malerei neu: für die Vergegenwärtigung zivilisatorischer, kultureller Identität – zwischen objektivem Bestand und subjektivem Erleben.

Thomas Hirsch, 2010