Gerhard Martini - Texte

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Lack auf Blech

Zum Einrichten seiner Ausstellung im 'Neuen Kunstverein Gießen' war Gerhard Martini am 29. März mit einem detaillierten Hängeplan angereist, der, wenn er ihn denn schon fertig gestellt gehabt hätte, bevor die Einladungskarte zum Druck gegeben worden war, vielleicht zu einem anderen - allerdings ebenso lapidaren - Ausstellungstitel geführt hätte: '80 Bilder', meinte der Künstler, würde er die Ausstellung vielleicht jetzt nennen. -Achtzig Bilder in 'den Räumen' des 'Neuen Kunstvereins Gießen'? Die Ankündigung hätte zweifellos jeden mit den Örtlichkeiten vertrauten Empfänger der Einladungskarte an einen Druckfehler glauben lassen. Tatsächlich sind es denn schließlich auch elf Werke weniger geworden - doch könnten es auch, wenn die Wand, an der jetzt nur ein Bild klebt, 'besser genutzt' worden wäre, gut und gerne elf (oder auch zweiundzwanzig) mehr sein.

Eine der Qualitäten von Gerhard Martinis Ausstellung im 'Neuen Kunstverein Gießen' besteht nun ohne Zweifel in der Art und Weise, wie er auf die 'Macken' des nicht eben 'idealen' Raums (dessen besondere Eignung für Ausstellungen aber vielleicht gerade in den Widerständen liegt, die er den Künstlerinnen und Künstlern entgegensetzt) reagiert hat. Wenn denn also die Nutzung nicht der 'längsten', sondern vielmehr der 'am wenigsten kurzen' Wand unseres Raums noch zusätzlich durch einen in der linken Ecke aufsteigenden Kamin beeinträchtigt wird: was bleibt dem Künstler anderes übrig, als seine Präsentation um die Ecke herum in die angrenzende Nische weiterzuziehen? Was wiederum zur Folge hat, dass der ursprünglich für die Rückwand dieser Nische vorgesehene Neunerblock um eben dieses Stück zu weichen hat und dadurch in die Ecke gedrängt wird. Was aber wiederum und wunderbarerweise bewirkt, dass die ganze Ausstellung in Bewegung gerät -dass selbst und gerade aus den 'ungünstigsten' Blickwinkeln (von der Eingangstür her; von der Durchreiche aus, an der früher die Besucher des Kiosks ihre Zeitungen, ihre Kaugummis und ihr Bier bezogen) sich neue und interessante Perspektiven und Einblicke ergeben.

Allerdings liegt die Verschiebung der achtundfünfzig in lockerer Gruppierung und der neun im strengen Block arrangierten Bilder nicht nur (formal) in den 'Unzulänglichkeiten' des Ausstellungsraums begründet. Vielmehr scheint es (auf einer inhaltlichen Ebene) auch so, als ob sie vor der Ansprache, die der große Vorsitzende Michail Sergejewitsch Gorbatschow (könnte es sich aber nicht ebenso gut auch um Mao handeln?) an die versammelten (Bild-) Genossinnen und Genossen richtet, zurückwichen.

Dieser durchaus witzige inhaltliche Aspekt ist nun aber keineswegs der einzige Grund für die Isolierung des einen und für die dichtgedrängte Hängung der anderen Bilder. Durch die Art der Präsentation werden dem Betrachter vielmehr unterschiedliche Möglichkeiten des Umgangs mit den Bildern nahe gelegt. Entstanden durch radikale Reduktion von ausnahmslos vorgefundenen Bildern -vorwiegend aus Zeitungen und Illustrierten-, entfaltet jedes einzelne von ihnen gerade durch die aus der vermeintlichen Simplifizierung gewonnene Uneindeutigkeit einen mehr oder weniger ausgeprägten Schwebezustand - sowohl zwischen unterschiedlichen gegenständlichen Ausdeutungen als auch zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion. Eine Potenzierung erfährt dieses im Sehen begründete intellektuelle Spiel in den vielfältigen Beziehungen, die sich zwischen den achtundsechzig einzelnen Bildern ergeben.

9.4.2005/mb