Gerhard Martini - Texte

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Im ältesten Naturkino Griechenlands herrschte Ordnung. Fest an ihre Sitze geschnallt, konnten die Besucher nur nach vorne schauen, dorthin, wo die Lichtspiele projiziert wurden. Als Projektorlampe fungierte ein Feuer. Projiziert wurde, was Passanten an Gegenständen hinter dem Rücken der Besucher vor dem Feuer vorbeitrugen: >>Bildersäulen und andere steinerne und hölzerne Bilder<<. Zu sehen waren also Bilder von Bildern, was den Erkenntnisstand der Besucher recht niedrig hielt: >>Auf keine Weise also können diese irgend etwas anderes für das Wahre halten als die Schatten jener Kunstwerke.<<

Seit Platons Höhlengleichnis ist im Abendland einiges passiert, unter anderem kam Ende des 18. Jahrhunderts der Schattenriss, die handgefertigte Vorform der Portraitfotografie, in Mode - um alsbald von der Portraitfotografie verdrängt zu werden. Heute beschert uns die Fotografie (und erst recht das laufende Filmband) eine solche Fülle von Gesichtern, die uns schattenlos (dabei durchaus künstlich) in unseren häuslichen Höhlen angucken und ansprechen, dass die von Platon einst bemängelte Informationsarmut silhouettenhafter Abbildungen einen neuen Reiz bekommen hat.

Gerhard Martinis (geboren 1953) Bilder von Köpfen oder Figuren zeigen in ihrem Zentrum monochrome, pastos durchstrukturierte Flächen. Einerseits geben diese Bilder ohne falschen Schein zu erkennen, was sie sind: Ein gemaltes Gesicht ist nie anwesend, nur die Farbe ist anwesend. Andererseits wirkt der mimetische Verzicht im Inneren der Silhouette wie ein Loch, eine Ausblendung (bei Platon beginnt die Befreiung von Unwissen mit Blendung: dem Blick ins Licht). Die Bilder bieten dem Betrachtergesicht kein Bildgesicht als antwortenden Spiegel mehr an. Jedoch zeigt diese Malerei ihren Verzicht nicht als düsteres Verdämmern, sondern in signalhafter Deutlichkeit. Hier wird nicht mangelnde Erkenntnishelle gleichnishaft kritisiert, sondern Erkenntniskonventionen hell und klar in Zweifel gezogen. Hat Platons bis heute folgenreiche Gleichsetzung von Licht mit Wahrheit und Vernunft im Zeitalter elektronisch simulierter, heller Anwesenheit eines Fernsehgesichts im Wohnzimmer noch Sinn? Martinis Gemälde sind Bilder von Bildern, wobei die Vorlagen „Kunstwerke“ sowohl in Platons eher abfälligem Wortgebrauch von Tand sind (Postkarten, Zeitungsfotos), wie im heutigen Sinn, also Bilder anderer Maler. In einer durchkommerzialisierten, auch im Kunstmarkt extrem beschleunigten Bilderwelt, die Informationen mit Erkenntnissen verwechselt, nimmt sich eine Malerei philosophisch aus, die mit Platons Lehrer zu sagen scheint: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“

Matthias Winzen