Gerhard Martini - Texte
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Das ist doch van Gogh!
(Bemerkungen zu den Bildern von Gerhard Martini)
Was ist van Gogh?
Wir sitzen an einem stillen Ort und richten den Blick von unseren eigenen Füßen auf einer synthetischen Fußmatte hin zu einer Reproduktion des Sämanns von van Gogh, die an der verschlossenen Tür mit Klebeband befestigt ist.
Was ist van Gogh? Oder WER ist van Gogh?
Zwischen den Comic-Heften im Regal unter dem Waschbecken liegt der im letzten Jahr in einer Bahnhofsbuchhandlung im Ramsch erworbene Farbband Van Gogh, Sein Werk und sein Leben. Der Klappentext berichtet von einem genialen Maler, der zwischen Wahnsinn und Genialität sich bewegend, sein Leben gänzlich der Malerei widmete.
Seiner Malerei. Genial. Lassen wir uns das noch einmal auf der Zunge zergehen… Die Augen sinken wieder auf die eigenen Füße, der Kopf macht einen ungewollten Sprung, und beim erneuten Aufblicken stehen wir in einer Schlange von Menschen, die Einlass erwarten. Einlass in Die Große van Gogh Retrospektive. Wir tragen zum neuen Besucherrekord bei. Immerhin. Nach zwei Stunden sind wir in der Schlange an allen Exponaten einmal vorbeigeschoben worden und stehen wieder vor der Tür. Da war doch was. Hatte dieser Mann Kultur? Sie setzte sich aus den Eindrücken seiner Umgebung zusammen? Wie sieht unsere aus?
Van Gogh ist ein Teil unserer Kultur? Nein.
Doch das, was von seinem Leben überliefert wird, vermittelt sich durch die Kulturmaschine unserer Kulturgesellschaft. Also keine Bedenken, van Gogh heute als einen Teil von Populär-Kultur zu begreifen. So wie wir seine Arbeit kennen, ist sie Teil der Mediengesellschaft, ein Stück im großen Informationskuchen. Das nimmt der ursprünglichen Bedeutung der Bilder nichts, doch es beeinflusst unsere Rezeption dieser Arbeit in nicht geringem Maße. Network, van Gogh um 9:09 in San Francisco, um 6:15 in NY, vor dem Sonnenaufgang im Osten. Multikultureller Informationsüberfluss aus mindestens dritter Hand. Wir haben die viel zu seltene Situation der heruntergefallenen Kinnlade vor dem gut bewachten Original eingetauscht gegen seine Verfügbarkeit aus dem Medienpool. Computeranimierte Bilderwelten in Cinemascope von Kurosawa gegen das hilflose Schweigen vor einem 30 x 40 Zentimeter kleinen Original. Wie war der Urlaub in der Südsee? Hallo Gauguin. Gibt es noch etwas zu berichten, wo alles berichtet wird?
Haltung gefordert! Wir können uns nicht vormachen, diese Bilder wie vor 100 Jahren sehen zu können. Haltung bezogen! Ein Bekenntnis. Ein Geständnis. Ja, wir sind nicht mehr unschuldig. Die DOORS im Radio aus der Zukunft gehört beim betrachten von Vermeer. Slogans von der Bundespost auf van Gogh Repro # 326. Martini arbeitet im JETZT. In einem Haufen von Kulturgeschichte stehend, der sich ständig zur aktuellen Kultur neu zusammensetzt. Martini bezieht Stellung. Keine Dogmen, kein Idealismus. Augen auf. Umsetzen. Zusammenbearbeiten. Jenseits und diesseits der Vorlagen. Forschen. Die Gleichzeitigkeit der Zeiten erkennend.
Fertig. Tür aufschließen. Weiter malen …
J.S.